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Stellungnahme der BSK-Bundesvorsitzenden Verena Gotzes zur Bundestagswahl
Die Mauer muss stehen! – Einmalige Chance für Regierungsparteien
Der Wille der Wähler*innen hat viele Gesichter – konservativ, sozial, christlich, rechts und links. Doch vor allem zeigt er eines: Unzufriedenheit. Grüne und SPD wurden abgestraft, die FDP scheiterte sogar an der 5%-Hürde. Die Union wurde stärkste Kraft – nicht zwingend wegen ihrer Politik, sondern auch, weil sie nicht an der letzten Regierung beteiligt war.
Nun wird es voraussichtlich die fünfte Große Koalition zwischen Union und SPD geben – mit haarscharfer Mehrheit. Und das in einer Zeit, in der die Sorgen um Einwanderung, Kaufkraftverlust, Preissteigerungen und soziale Ungleichheit das Wahlverhalten dominieren. Und keine Partei rechts der Union war in der Bundesrepublik jemals so stark wie heute die AfD. Das wirft vor allem eine Frage auf: Wie geht es weiter in einem Land, das zutiefst unzufrieden ist? Kann Friedrich Merz als Kanzler eine starke Brandmauer gegen den Rechtsruck errichten? Wird es ihm gelingen, demokratische Parteien für eine soziale und gerechte Gesellschaft zusammenzuführen?
Denn eines ist klar: Diese Wahl hat politische Machtverhältnisse sichtlich verschoben. Problematisch wird das besonders bei Entscheidungen, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern – etwa Verfassungsänderungen, z. B. an der Schuldenbremse. Anpassungen wären nur mit Zustimmung von AfD oder Linkspartei möglich. Das heißt: Keine Zeit für Egotrips. Vor 36 Jahren fiel eine Mauer, die Deutschland trennte. Heute muss eine neue Mauer entstehen – nicht aus Beton, sondern aus Haltung, Verantwortung und Solidarität.
Der Sozialstaat wankt – Menschen mit Behinderungen besonders betroffen
Wir als BSK – Sozialverband für Menschen mit Behinderungen – sehen den Sozialstaat in Gefahr, wenn die Parteien nicht zusammenfinden. 7,9 Millionen Menschen mit schweren Behinderungen leben in Deutschland. Sie kämpfen täglich gegen bürokratische Hürden, fehlende Barrierefreiheit und finanzielle Benachteiligung. Viele sind auf Sozialleistungen angewiesen, weil sie auf dem regulären Arbeitsmarkt kaum Chancen haben. Oft decken diese Leistungen aber nicht einmal die Mehrkosten für Assistenz, Hilfsmittel oder barrierefreien Wohnraum. Und wieder drohen Kürzungen. Doch wenn der Rotstift angesetzt wird, darf dies nicht auf Kosten der Schwächsten geschehen. Ein Sozialstaat, der seinen Namen verdient, muss ein stabiles Netz spannen, das alle Menschen auffängt – nicht nur die, die sich selbst helfen können.
Schon im Wahlkampf wurde klar: Inklusion und Teilhabe sind in allen Wahlprogrammen unzureichend verankert. Barrierefreiheit in Wohnungsbau, Mobilität und Digitalisierung, bessere Löhne in Werkstätten, ein inklusiver Arbeitsmarkt, ein schärferes Antidiskriminierungsrecht und eine inklusive Schulpolitik blieben oft vage. Hier liegt eine einmalige Chance für die neue Regierung: Weg von hohlen Phrasen, zurück zu sozialen, christlichen und bürgernahen Werten! Eine starke Brandmauer gegen Faschismus und Diskriminierung, in einer Zeit, in der die Schwächsten der Gesellschaft wieder ausgegrenzt werden.
Eine Gesellschaft ohne Barrieren – eine Demokratie ohne Spaltung
Jeder Mensch hat Rechte und Pflichten – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, politischer Haltung oder körperlicher Verfassung. Jeder muss die Möglichkeit haben, nach seinen eigenen Interessen und Fähigkeiten teilzuhaben – immer und überall. Doch Deutschland steht vor großen Herausforderungen – finanziell und gesellschaftlich. Bezahlbarer Wohnraum, Pflegefachkräfte, soziale Absicherung –das betrifft alle Menschen, besonders aber jene, die ohnehin schon am Rand der Gesellschaft stehen. Eine Politik der Spaltung kann hier nicht die Lösung sein. Stattdessen bietet das Wahlergebnis der neuen Bundesregierung die Chance, verlorenes Vertrauen in Demokratie und Politik zurückzugewinnen. Für eine vielfältige, offene Gesellschaft ohne Barrieren, in der alle die Unterstützung bekommen, die sie brauchen.
Die Mauer gegen Hass und Hetze muss stehen – fester denn je!
Ihre Verena Gotzes,
Vorsitzende des Bundesverbands Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) e.V.
„Ich habe Angst, dass Inklusion in Deutschland den Bach runter geht“
Hans-Werner Eisfeld, Leitung der BSK-Landesvertretung in Niedersachsen kommentiert den Ausgang der Bundestagswahl
Ich habe Angst! Angst vor einem politischen Rechtsruck, der das Leben für Menschen mit Behinderungen und Unterstützungsbedarfen noch schwerer macht, als es ohnehin schon ist. Die AfD in Niedersachsen ist mit 17,6% drittstärkte Kraft im Land und sind somit den großen Parteien SPD (23,0%) und CDU (28,1%) langsam aber sicher auf den Fersen.
Bei der Bildung der neuen Bundesregierung ist es vor diesem Hintergrund für mich absehbar, dass Sozialleistungen heruntergefahren werden. Das hat die Union ja bereits deutlich angekündigt. Doch wo bleibt da die Christlichkeit, die bereits im Parteinamen steckt? Was macht es mit der Mitmenschlichkeit, wenn Inklusion und Teilhabe in Deutschland den Bach runter gehen? Umfassende Teilhabe kostet nun einmal Geld. Aber sie ist ein Grundrecht! Ein Grundrecht, das mit Füßen getreten wird, wenn alles, was an Investitionen im sozialen Bereich nötig wäre, auf die lange Bank geschoben wird. Und das bloß um die reichen Gesellschaftsschichten nicht mit höheren Spitzensteuersätze zu verärgern. Auch das bedeutet Sozialstaat: die Reichen helfen den Ärmeren dabei, sich selbst zu helfen!
Vordringliches Ziel bei uns im BSK in Niedersachsen als Selbsthilfeverband ist es, dass Menschen mit Behinderung überall gleichberechtigt und ohne Barrieren am Leben in der Gesellschaft teilhaben können. Das war bislang ein harter Kampf. Aber er wird noch härter, wenn die neue Bundesregierung die Kurve zurück zu einem Sozialstaat mit entsprechenden Investitionen in die sozialen und bildungspolitischen Bereiche nicht kriegt.
Ich denke an ein Beispiel aus der Schulpolitik. Als im Sommer 2023 der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke gefordert hat, dass Kinder mit Behinderungen nicht mehr an Regelschulen unterrichtet werden dürfen. Denn Inklusion würde, so Höcke, „unsere Schüler nicht weiterbringen“ und auch „nicht leistungsfähiger machen“. Das sehe ich vollkommen anders! Inklusion bereichert das Leben jeden Tag. Sie bringt unterschiedliche Menschen zusammen und fördert Sozialkompetenzen wie Teamfähigkeit, Kompromissbereitschaft und Kommunikationsfähigkeit. Und am Ende steigert das daraus erwachsene Zusammengehörigkeitsgefühl auch die Wirtschaftlichkeit, wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen statt zu versuchen, sich gegenseitig auszustechen und zu übertrumpfen. Nicht nur im Bereich inklusive Aus-, Fort- und Weiterbildungen, sondern generell. Es wäre schön, wenn das auch die Bundespolitik verstehen und dementsprechend handeln würde. Wir im BSK werden auf jedem Fall darum kämpfen.
„Solange wir noch Wasser unterm Kiel haben, geht es trotz der aktuellen politischen Entwicklungen irgendwie voran.“
Matthias Krása, Leitung der BSK-Landesvertretung in Schleswig-Holstein kommentiert den Ausgang der Bundestagswahl
Ungeachtet dessen, wie das Wahlergebnis in Schleswig-Holstein oder im Bundesgebiet insgesamt ausgefallen ist: Meine persönliche Befürchtung ist, dass – egal wer am Ende die Regierung bildet oder den Kanzler stellt – Menschen mit Behinderung das Wasser unter ihrem Kiel entzogen wird.
Aber immerhin bleibt die Hoffnung, dass eine Koalition aus der stärksten und der drittstärksten Kraft im Bundestag weniger schlimm wird, als wenn die beiden Parteien mit den meisten Wählerstimmen die Regierung bilden. Denn dann gäbe es meiner Meinung nach in unserer Gesellschaft bald überhaupt keinen Platz mehr für Menschen mit Behinderung. Geschichte darf sich nicht wiederholen. Das sollte uns die Vergangenheit eindrücklich gelehrt haben. Doch das Wahlergebnis lässt leider anderes vermuten als Vorstöße für Inklusion und Teilhabe.
Doch unabhängig davon, wer am Ende die Regierung bildet: Der Wind steht günstig für Verschlechterungen im Leben von Menschen mit Behinderungen und Unterstützungsbedarf. Oder um es weniger drastisch zu sagen: Über die so dringend benötigte Verbesserung der Inklusion in Deutschland mithilfe der Politik brauchen wir uns in naher Zukunft erstmal keine Gedanken mehr machen…
Aber wie sagt man so schön: Lasst uns den Wind, der uns beim Segeln voranbringt, genießen. Selbst wenn er uns entgegen peitscht. Denn solange wir noch Wasser unterm Kiel haben, geht es irgendwie vorwärts. Zum Beispiel, wenn wir als Selbsthilfeverbände und Interessenvertretungen geschlossen zusammenstehen. Irgendwann drehen wir den Wind für ein selbstverständlich inklusives, barrierefreies Deutschland. Ein Deutschland, wie es schon längst ein sollte.
„Für uns wichtige Themen wie Pflege und Hilfen für Menschen mit Behinderungen sind nicht präsent.“
Friedrich Rieger, Leitung des BSK-Landesverbands Bayern kommentiert den Ausgang der Bundestagswahl
Die Wahl ist gelaufen! Und das gleich im doppelten Sinne… Ich persönlich glaube nicht, dass unsere sogenannten Demokratischen Parteien mit diesem Ausgang zufrieden sein können. Der Rechtsruck hat sich weiter fortgesetzt, und unsere Alt-Parteien haben immer noch nicht verstanden, was der normale Bürger von ihnen erwartet.
Schon der Wahlkampf hat gezeigt, dass nur wenige Themen wichtig waren und alle anderen Probleme kaum keine Erwähnung fanden. Alles dreht sich um Migration und Ukrainehilfe und Bundeswehr. Sicherlich sind auch das wichtige Anliegen, aber für uns als Menschen mit Einschränkungen und auch als Selbsthilfeverband wichtige Themen wie Pflege, Hilfe für Behinderte und die Krankenhausreform waren und sind absolut nicht präsent.
Ich persönlich befürchte daher, dass wir in diesen Bereichen mit Einsparungen zu rechnen haben. Die Bezirke, die Hilfen für Behinderte bezahlen müssen, haben kein Geld mehr. Auch in unserer täglichen Beratungs- und Selbsthilfearbeit stellen wir fest, dass ohne Sozialgerichtsverfahren kaum vom Gesetz her zustehenden Leistungen mehr bewilligt werden.
Ich wünsche mir, dass die Behindertenverbände eine gemeinsame Resolution einbringen, so dass unsere Anliegen künftig den größtmöglichen Erfolg haben.