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ÖPNV für alle: Bessere Nahverkehrspläne durch Partizipation

Der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. macht sich für die Umsetzung der gesetzlich vorgeschriebenen Barrierefreiheit im Nahverkehr stark. Dabei kommt es vor allem auf die Beteiligung von Menschen mit Behinderung bei der Verkehrsplanung an.

von Aktion Mensch

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  • Aus dem Verband

Am 1. Januar 2022 war der Stichtag: Im Personenbeförderungsgesetz (§ 8 Abs. 3 PBefG) ist festgeschrieben, dass der öffentliche Personennahverkehr in Deutschland seitdem vollständig barrierefrei sein sollte. Viele Menschen mit Behinderung merken aber täglich: Noch ist das längst nicht flächendeckend der Fall. Zur Barrierefreiheit gehört unter anderem, dass Rollstuhlfahrer*innen selbstständig ein- und aussteigen können und dass für Menschen mit sinnes- oder kognitiver Beeinträchtigung alle nötigen Informationen zugänglich sind: von der Planung der Fahrt über den Fahrkartenkauf bis zur Orientierung und Fortbewegung in den Fahrzeugen und an den Haltestellen. 

Die Bestimmungen im Personenbeförderungsgesetz gehen zurück auf die UN-Behindertenrechtskonvention, wonach sich auch Deutschland verpflichtet hat, für Barrierefreiheit im Nahverkehr zu sorgen. Allerdings lässt das Personenbeförderungsgesetz unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen zu, zum Beispiel bei erheblichen finanziellen und planerischen Herausforderungen für die Kommunen.

Alle verfügbaren Pläne werden zusammengetragen

Mit dem Projekt „ÖPNV für alle“ untersucht der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. (BSK) mit Förderung der Aktion Mensch derzeit den Status quo: Der BSK trägt alle verfügbaren Nahverkehrspläne aus deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten zusammen und prüft, wie es bundesweit um Barrierefreiheit im ÖPNV bestellt ist und ob und wie Menschen mit Behinderung an deren Entwicklung beteiligt sind. Darauf aufbauend will sich der Verband mit Schulungen und Aufklärungsarbeit dafür einsetzen, dass noch vorhandene Barrieren im Nahverkehr verschwinden. 

Erste Erkenntnisse des BSK: In vielen, vor allem älteren Plänen ist von Barrierefreiheit noch nicht viel zu lesen. Bei anderen sieht es schon besser aus. Hier muss aber jeweils geprüft werden, wie viel von den guten Vorsätzen auch tatsächlich umgesetzt wurde oder wird. Sicher ist jedoch: Das Ziel der umfassenden Barrierefreiheit im ÖPNV ist zum 1. Januar 2022 flächendeckend nicht erreicht worden.

Interaktive Karte zu Barrierefreiheit

„Wir wollen mit dem Projekt die Umsetzung der Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr begleiten“, so Julia Walter vom BSK. Rund 380 verfügbare Pläne konnte der Verband bisher zusammentragen. Momentan werden sie ausgewertet. Voraussichtlich gegen Ende 2022 soll dann eine interaktive Karte zur Verfügung stehen, auf der Interessierte sehen können, wie es um die Barrierefreiheit und die Beteiligung von Menschen mit Behinderung in den einzelnen Städten, Gemeinden und Kreisen bestellt ist.

Außerdem startete der BSK vor einigen Wochen einen Aufruf im Internet: Menschen mit Behinderung wurden gebeten, ihre Erfahrungen mit dem ÖPNV zu teilen. „Wir haben sehr viele Rückmeldungen bekommen, sowohl von Bürgerinnen und Bürgern als auch von Landesbehindertenbeauftragten“, sagt Julia Walter. „Die meisten Rückmeldungen beziehen sich auf die Haltestellen. Es kommt oft vor, dass Busse oder Straßenbahnen barrierefrei sind, aber die Haltestellen nicht. Vor allem, wenn umgebaut wird oder wenn es Umleitungen gibt, mangelt es sehr oft an Barrierefreiheit.“

Schulungen geplant

Voraussichtlich ab Ende 2022 plant der BSK auch Webinare rund um das Thema Nahverkehrspläne und Partizipation. Die Onlineworkshops richten sich hauptsächlich an die Verbände vor Ort und auch an Landesbehindertenbeauftragte. Inhalt der Schulungen sind zum einen Grundlagen der Barrierefreiheit im ÖPNV und zum anderen Möglichkeiten und Methoden, sich an der Planung vor Ort zu beteiligen. 

„Wir wollen aber auch mit den Kommunen und den Landesbehindertenbeauftragten ins Gespräch kommen“, so Julia Walter. Bei der Auswertung der Nahverkehrspläne – vor allem dort, wo das Thema Barrierefreiheit zu kurz kommt –, soll es einen Austausch mit den Beteiligten geben, um die Vernetzung voranzubringen und den Abbau von Barrieren zu fördern. „Manchmal ist es schwierig für die Menschen vor Ort, mit den Kommunen oder Aufgabenträgern des ÖPNV in Verbindung zu treten“, sagt Julia Walter. „Wir haben auch von Landesbehindertenbeauftragten gehört, dass sich manche Verantwortliche in den Kommunen querstellen. In diesem Fall wollen wir versuchen, alle an einen Tisch zu bringen.“ 

Instrument Nahverkehrsplan

Mit Nahverkehrsplänen wird der Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Deutschland geregelt. Das Planungsinstrument soll sowohl eine Bestandsaufnahme des ÖPNV-Angebotes vor Ort als auch Zielvorgaben für die zukünftige Entwicklung enthalten. Grundlage ist der § 8 Abs. 3 PBefG. Die Gestaltung der Nahverkehrspläne ist Aufgabe der Landkreise und kreisfreien Städte. Die Gestaltung der Haltestellen dagegen ist Aufgabe der Kommune. Der Umbau der Haltestellen ist also nicht Teil des Nahverkehrsplanes. Der BSK setzt sich dafür ein, beim Thema Barrierefreiheit die gesamte Reisekette zu betrachten. In der Regel sind Nahverkehrspläne fünf Jahre gültig und müssen dann erneuert werden.

Beteiligung von Anfang an 

Außerdem wirbt der BSK dafür, Menschen mit Behinderung von Anfang an bei der Erstellung oder Erneuerung von Nahverkehrsplänen zu beteiligen. „Es kommt oft vor, dass wir erst ins Boot geholt werden, wenn es schon zu spät ist. Wir werden zum Beispiel erst zur Besichtigung eingeladen, wenn ein neues Fahrzeug schon gebaut ist. Dann ist es aber für manche nötigen Maßnahmen schon zu spät. Oder man muss teuer umbauen“, so Julia Walter. Besser ist es, wenn Planer*innen Menschen mit Behinderung von Anfang an einbeziehen. „Gehen Sie einfach auf die Verbände vor Ort zu und fragen Sie Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen nach ihren Bedürfnissen!“ 

Hier erschienen

Straßenkarte, Screenshot von der Aktion Mensch Seite