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Mein Name ist Erik Kleinfeldt, ich bin 48 Jahre und arbeite hauptamtlich als Koordinator für den Vereinsbereich der Selbsthilfe Körperbehinderter Göttingen. Umgangssprachlich bin ich der „Vereinspädagoge“.
Die Selbsthilfe Körperbehinderter Göttingen ist ein eigenständiger Verein, aber dem Bundesverband als regionaler Bereich angegliedert. Aktuell haben wir ca. 110 Mitglieder, die zugleich beim BSK Mitglied sind.-Unsere Gründerin Else Bräutigam saß selbst im Rollstuhl und hat in den 1960 er Jahren Eduard Knoll und den Bundesverband kennengelernt. Für sie war schnell klar: diese Form der „Hilfe zu Selbsthilfe“ möchte sie auch in Göttingen etablieren. Aus Ihrem Wohnzimmer heraus organisierte sie für sich und andere Menschen mit Behinderungen Alltagshilfen für den Einkauf, die Freizeit, die Arbeit. In den 1970er Jahren wurde die Selbsthilfe Körperbehinderter eine Zivildienststelle, die Menschen mit Beeinträchtigungen ein Selbstbestimmtes Leben und eine 24-Stunden-Assistenz in den eigenen vier Wänden ermöglicht. Diese wichtige Arbeit – damals trug sie den Namen „individuelle Schwerstbehinderter -Betreuung (ISB) - habe ich als Zivildienstleistender selbst gemacht – allerdings nicht in Göttingen, sondern damals in meiner Geburtsstadt Hamburg beim Club 68 e.V.
Mit dem Ende der Wehrpflicht endete auch der Zivildienst, seitdem haben wir in Göttingen einen Assistenzdienst mit weit über 100 Mitarbeitern.
Meine Stelle hier in Göttingen ist schon etwas Besonderes – unser Vereinsbereich und vor allem meine Arbeitszeit wird durch unseren Assistenzdienst quer finanziert. Das war eine Idee unserer Gründerin Else Bräutigam – durch die Schaffung barrierefreier Angebote und die Einflussnahme in der Politik wollte sie die Teilhabe behinderter Menschen in Göttingen aktiv gestalten. Else selbst war trotz oder gerade wegen ihrer Behinderung politisch hoch aktiv und saß einige Jahre im Göttinger Stadtrat. Nach Ihrem Tod im Jahre 2001 wurde sie zur Ehrenbürgerin der Stadt ernannt. Ich habe sie leider nie persönlich kennenlernen dürfen, bin ihr aber sehr dankbar, dass sie mir durch ihre Weitsichtigkeit heute dieses tolle Arbeitsfeld ermöglicht: gemeinsam mit Menschen mit und ohne Behinderungen daran zu arbeiten, dass sich die Barrierefreiheit und die Teilhabechancen in Göttingen und Südniedersachsen verbessern.
Im März 2026 werde ich zehn Jahre für die Selbsthilfe Körperbehinderter tätig sein. Wir haben viel auf die Beine gestellt, sind aber auch oft auf der politischen Ebene enttäuscht worden. Im Kleinen freue ich mich immer über die lebendige Gemeinschaft in unserem Verein, mindestens einmal die Woche treffen wir uns. Neben den Gruppentreffen machen wir eine Vielzahl an Aktivitäten, seitdem ich hier arbeite, haben wir schon zwei Mehrtagesreisen nach Hamburg und in die Niederlande auf die Beine gestellt. Immer rollstuhlgerecht, mit viel Elan und meist mit kleinem Budget. Im Sommer unternehmen wir Ausfahren mit einem Rollstuhlbus zu schönen Zielen in der Region. Den „Europäischen Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen“ organisiert unser Verein jedes Jahr um den 5. Mai mit Unterstützung der Aktion Mensch. Da bringen wir seit 30 Jahren unterschiedliche Themen wie Barrierefreiheit im Nahverkehr, Inklusive Arbeitsmarktpolitik und vieles mehr auf eine Bühne in die Göttinger Innenstadt. Zudem organisieren wir seit einigen Jahren jeden Sommer ein rollstuhlgerechtes Stand Up Paddling auf dem Göttinger Kiessee. Bis zu 4 Rollstühle finden auf den speziellen Paddle-Boards Platz – das ist ein großer Spaß für Jung und Alt.
Als besonders engagiert habe ich den Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter in den Gründungsphase der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatungen EUTB®s erlebt. Im Rahmen des Projekts „der Rechtsweg ist nicht ausgeschlossen“ (später „Netzwerk unabhängige Beratung“) wurden damals frühzeitig Menschen mit und ohne Behinderung als Beratende geschult. Gemeinsam mit dem bvkm hat der Bundesverband auch Einfluss auf die programmatische Ausgestaltung der Beratungsarbeit der EUTB®s genommen. Solch eine aktive Rolle auch auf Bundesebene wünsche ich mir auch in Zukunft weiterhin vom BSK.
Es ist schade, dass der BSK 2022 dann viele seiner EUTB®-Beratungsstellen wieder verloren hat. Die EUTB®s waren aus meiner Sicht ein Riesenerfolg, weil sie Betroffenen eine großartige Möglichkeit geboten haben, als Experten in eigener Sache tätig zu werden (und davon sogar auskömmlich leben zu können). Vielleicht hatte die Politik aber auch ein bisschen Angst vor so viel „Empowerment“ und hat daher die EUTB®s an andere, weniger engagierte Träger vergeben. Auf kommunaler Ebene zeigt sich für mich oft, dass die rein ehrenamtliche Interessensvertretung von Menschen mit Behinderungen ein Irrweg ist. Kommunale Behindertenbeiräte und Behindertenbeauftragte, die rein auf Ehrenamt basieren, entfalten aus meiner Sicht selten ausreichend Expertise und Kontinuität, um nachhaltig wirksam und streitbar zu sein. Wir brauchen mehr Hauptamtliche Stellen, die vor allem mit Betroffenen besetzt werden, damit die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wieder an Fahrt und Durchschlagskraft gewinnt.
Ich für mich kann sagen, dass meine Tätigkeit für den Vereinsbereich der Selbsthilfe Körperbehinderter Göttingen ein Traumjob ist, ein spannender Mix aus Sozialer Arbeit, Sozialpolitischem Aktivismus und Öffentlichkeitsarbeit. Das sehe ich seit fast zehn Jahren so. Und es sollen noch viele Jahre folgen.