Page 43 - 70_Jahre_BSK
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ob es nicht etwas Schriftliches über die Gründer, über Eduard Knoll, gäbe. Frau Reichert-Klemm reichte mir darauf- hin die Jubiläumsausgabe zum 50. Bestehen des BSK – und dort fand ich Worte, die mir als Geschäftsführer immer wie- der fehlten. Was Eduard Knoll in seinem ersten Rundbrief schrieb, beschreibt bis heute das Schicksal behinderter Min- derheiten – insbesondere hier in Baden-Württemberg. Er war Mitgründer des damals jüngsten „Behinderten-Startups“ im Land. Seine Hoffnung war getragen von der Überzeugung, dass die in unserer Verfassung verankerten Menschenrechte auch für eine zahlenmäßig kleine Schicksalsgemeinschaft Geltung finden müssen. Er kritisierte eine Gesellschaft, die Werte zu oft nach Größe und Zahl bemisst – und damit ideelle Werte und soziales Wollen missachtet. Er erkannte, dass Leid und Schmerz in diesen Zusammenhängen oft unsichtbar bleiben und nur den „vier Wänden“ anvertraut werden können. Ich wäre ihm gerne begegnet. Ich hätte ihm sagen wollen, dass die Wiege der Inklusion in seinem Werk hier in Krautheim steht – und dass wir sie gemeinsam ins Licht bringen müssten. Ich hätte ihn gefragt, wie wir das schaffen können, trotz der Minderheit, die wir auch heute noch dar- stellen. Und ich hätte ihm gesagt, dass er – und damit wir – als Erfinder des Begriffs „Barrierefreiheit“ gesehen werden sollten: ein Begriff, den viele nutzen, dessen Ursprung aber nur wenige kennen. Eine Geschichte der Selbsthilfe. Ich bin stolz, mich hier in Krautheim – meinen Kräften und Möglich- keiten entsprechend – für die behinderten Minderheiten unserer Zeit einsetzen zu dürfen. Es ist eine Geschichte aus der Wiege der Inklusion: geboren aus der Sehnsucht nach Gleichberechtigung und Selbstbestimmung, getrieben von kreativer Kraft – und getragen von dem Willen, dass diese Sehnsucht eines Tages nicht mehr unerfüllt bleiben muss.
Worte von Eduard Knoll zum Abschluss
Der Mitgliederstand entwickelt sich erfreulicherweise stetig nach oben. Aber immer noch ist unsere Schicksalsgemein- schaft zu klein, um einen Einfluss bei staatlichen und wirt- schaftlichen Stellen geltend machen zu können. Es scheint ein Übel unserer Zeit zu sein, dass alle Werte zu stark nach Größe und Zahl – also nach Äußerlichkeiten – bemessen werden und dadurch der ideelle Wert und das soziale Wollen unverstanden und missachtet bleibt. Denn was bedeutet es schon für viele Menschen, wenn es in Deutschland nur etwa 15.000 bis 20.000 Gehunfähige aller Arten gibt? Dies sind doch für sie keine Zahlen, die beeindrucken könnten! Und wie viel Leid und Schmerz liegt doch oft darin verborgen und wird nur den vier Wänden anvertraut!
Ausblick
Die Krautheimer Werkstätten nehmen in Baden-Württem- berg eine besondere Rolle ein: Hier werden mobilitätsbehin- derte Menschen weiterhin im Arbeitsbereich beschäftigt – eine Ausnahme in einer Zeit, in der diese Personengruppe vielerorts bereits in Förder- und Betreuungsbereiche aus- gelagert wurde. Vor dem Hintergrund der UN-Behinderten- rechtskonvention (UN-BRK) und des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) sind wir gefordert, eine inklusive Praxis zu erhalten und auszubauen. Die Rechte auf gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben und gesellschaftliche Teilhabe müssen konsequent umgesetzt werden – gerade für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. Unsere Werkstatt steht damit vor der Aufgabe, neben der individuellen Förderung auch die Rahmenbedingungen und Strukturen so zu gestalten, dass echte Teilhabe und Selbstbestimmung möglich bleiben. Nur so kann der besondere Auftrag, den wir im BSK seit 70 Jahren erfüllen, auch in Zukunft wirksam gelebt werden.
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