Page 4 - 70_Jahre_BSK
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Liebe Leserinnen, liebe Leser,
70 Jahre Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. – das ist wirklich ein Grund zu feiern! Sie haben nicht nur für die Rechte von Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung gekämpft und durch professionelle Beratung für eine Verbesserung vieler Einzelanliegen gesorgt, sondern auch ein Stück deutscher Geschichte mitbegleitet und mitgestaltet. Denken wir uns einmal 70 Jahre zurück: 1955, zehn Jahre nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg, gab es unzählige Kriegs- versehrte, viele davon mit körperlichen Behinderungen, hinzu kamen zahlreiche traumatisierte Menschen. Die rechtliche Situation damals war eine vollkommen andere: Das Grundgesetz war 1949 in Kraft getreten, doch es enthielt noch keinen Artikel, der die Rechte von Menschen mit Behinderungen explizit benannte. So weit war es erst 1994: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“, dieses Benachteiligungsverbot ist hart erkämpft durch Menschen mit Behinderungen und ihre Selbstvertretungsorganisationen.
2009 wurde der nächste Meilenstein in der Behindertenpolitik erreicht: Bund und Länder haben die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Diese Konvention bedeutet einen Perspektiv- wechsel: Das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an allen Bereichen unserer Gesellschaft – also vom Arbeitsleben über das Gesundheitswesen bis hin zu Sport und Kultur – ist ein Menschenrecht. Die paternalistische Geste, mit der Menschen mit Behinderungen bedacht wurden, wenn für alles andere schon gesorgt war, sollte damit Geschichte sein. Doch was auf dem Papier steht, muss auch umgesetzt werden, und davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Deshalb ist die UN-BRK nicht nur für mich, sondern auch für viele Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen die Richtschnur unserer Arbeit.
Damit kommen wir zu unserer gemeinsamen Herausforderung: Obwohl nicht nur die rechtliche, sondern auch die finanzielle Situation heute viel besser ist als zur Zeit der Gründung des BSK, sind wir von echter Inklusion und umfassender Barrierefreiheit – insbesondere im privaten Bereich – noch weit entfernt; zahlreiche Rechte von Menschen mit Behinderungen sind noch immer nicht umgesetzt. Ein Grund dafür dürfte sein, dass sich die Haltung der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderungen nicht wesentlich verbessert hat – das wäre anders, wenn jede und jeder von uns mit jemandem, der eine Behinderung hat, zur Schule gegangen wäre, Kontakt im Berufsleben oder im Sportverein hätte. Wir brauchen mehr Begegnungen, damit in unserer Gesellschaft ein Verständnis dafür entsteht, dass Inklusion und eine gleichberechtigte Teilhabe Menschenrechte sind. Dass Inklusion eingelöst wird, ist dabei eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Die Chance dazu besteht genau jetzt, denn wir brauchen weitere gesetzliche Reformen. Wenn wir in Deutschland die Inklusion stärken, bedeutet das auch eine Stärkung unserer Demokratie, da bin ich mir sicher.
Ich bin froh darüber, in diesen Zielen im BSK einen Partner sehen zu können, der die Interessen Körperbehinderter auch gegenüber der Politik vertritt und gleichzeitig Menschen mit Behinderun- gen beratend zur Seite steht, damit sie auch im Alltag zu ihrem Recht kommen. Deshalb wünsche ich allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern im BSK für ihre weitere Arbeit viel Kraft und Erfolgs- erlebnisse!
Herzlich, Ihr Jürgen Dusel
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 Jürgen Dusel,
Beauftragter der Bundesregierung
für die Belange von Menschen mit Behinderungen
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